Vielleicht sind Sendeplätze auch überbewertet. Wichtig ist weniger, welcher gerade frei geworden ist. Eher, was man daraus macht. Und so steht dort, wo bisher das multifunktionale Fliewatüüt namens "Neo Magazin Royale" parkte, nun ein futuristischer Sportwagen von BMW.
Eben noch erklingt im Vorfilm ein Schlager aus den Sechzigerjahren ("Wir wollen niemals auseinander gehen" von Heidi Brühl), da springt die Flügeltür des BMW auf, und zu den Klängen von Kesha und "Woman" strebt zielstrebig eine Frau die Rampe hinauf zum Studio, in die Zukunft: Ariane Alter.
Der Auftritt ist das, was man "bold" nennen könnte - und wird durch eine gestellte Szene hinter den Kulissen ergänzt: "Mensch, Cathy", begrüßt Alter ihren Gast, Cathy Hummels ("Schön, dass du da bist!"), und bittet scherzhaft darum, die Spielerfrau möge auf Instagram doch Werbung für "Late Night Alter" machen.
Kein Problem für die Cathy: "Und dann mit deinen Followern sind wir so bei 850.000, das wäre doch mega erfolgreich! Frauenpower! Vereinte Kraft!".
Die neue Sendung ist zu diesem Zeitpunkt gerade mal anderthalb Minuten alt und hat bereits deutlich gemacht, wohin die Reise geht. Raus aus den Sechzigerjahren! Rein in eine Gegenwart, die weiblich ist und selbstbewusst. Frauenpower!
Denn, wie Alter in ihrem einleitenden Monolog vor einladender Couch und Kulisse von Berlin klagt: "Soll ich euch mal sagen, was schwierig ist? Deutsche und weibliche Late-Night-Hosts!". Dabei stehe sie doch schon "genug unter Druck", denn der Donnerstagabend sei "ein Sendeplatz mit Verantwortung, mit Geschichte!", und da "möchte man auch liefern, also: frau".
Müde Witze, verpuffende Pointen
Dergleichen gegen Kritik abgedichtet, folgen ein paar müde Witze über die "Fäkalsprachen-Superspreader da drüben bei RTL", die "Klaviatur des Niveauverlustes", den Wendler, Pietro Lombardi, Dschungelcamp. Solche Sachen. Zwischen dem Streit um den CDU-Vorsitz und dem "Sommerhaus der Stars", heißt es dann, sei "kaum noch ein Unterschied zu erkennen".
Und deshalb wird auch keiner gemacht. Nicht einmal der Versuch, aus dem einen oder anderen satirisches Kapital zu schlagen. Im Studio sind pandemiebedingt wenig Zuschauer, was das lautlose Verpuffen mancher Pointe erklären könnte. Dann folgt der erste, wenn man so will, redaktionelle Beitrag. Die erste Idee.
Es geht um Steve Alter (nicht verschwägert oder verschwistert mit der Moderatorin), den Pressesprecher von Horst Seehofer, und seine Einlassung, bei der Polizei stünden "99 Prozent" aller Beamtinnen und Beamten "auf dem Boden des Grundgesetzes". Das könne man, meint Ariane Alter nach allerlei Namenswitzen über Steve Alter, so nicht stehen lassen.
In der Rubrik "Ariane antwortet" also antwortet sie. Auf Twitter. Live. Wir sehen ihr also zu, wie sie in Echtzeit eine gewitzte Replik tippt und abschickt, wie viele "Polizist:innen" demnach nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Ein unfreiwillig treffendes Bild über mediale Zivilcourage in Deutschland. Wir haben 3.300 Faschist:innen bei der Polizei, denen werden wir’s jetzt mal so richtig geben. Mit einem Tweet: "Raus aus Tinder, rein in Twitter!".
Das Thema "Catcalling" (Männer machen Frauen an: "Na, Süße? Geiler Arsch!") wird auf dem Niveau gespielter Sketche abgehandelt, in denen die anmachenden Männer, darunter auch "der orangene Kürbis aus Washington", klar, von einer feministischen Eingreiftruppe "aufs Maul" bekommen: "Problem solved!", freut sich Alter: "Was machen wir denn nächste Woche? Ich freu mich jetzt schon. Mansplaining vielleicht?"
Weil, nächstes Thema, hierzulande "die Blutbanken leerer sind als die Konten von Boris Becker", geht es um die Einschränkungen für homosexuelle Blutspender. In mehr als vier Minuten, angekündigt als "Arianes Rant", wird dieser Skandal geschildert. Erst ganz am Ende erinnert sich Alter, dass das eine Wutrede sein sollte, und schließt mit einem schlecht gespielten "Da könnt' ich mich aufregen!".
Alter füllt die Rolle der Frauenpowerfrau perfekt aus
Ariane Alter hat mal bei Nintendo angefangen, dann MTV, Red Bull, schließlich BR und "Funk", sie ist keine Schlechte, die Rolle der Frauenpowerfrau mit stilistischen Anleihen bei Carolin Kebekus füllt sie passgenau aus. Im Gespräch mit Cathy Hummels endlich zeigt sie, dass sie auch Frauke Ludowig kann.
Wie nun aber könnte man Cathy Hummels einführen? Richtig, per Google-Suche, die von einem Mann mit spanischem Akzent kommentiert wird: "Spielerfrau? Was spielt sie denn? Vielleicht Halma? Schafskopf? Cluedo? Bei uns jedenfalls die erste Geige!"
Und dann sitzt da Cathy Hummels und ist Cathy Hummels, macht Werbung für ihre "stylischen" Corona-Masken und ihr Buch über Depressionen ("Naja, es fällt mir immer 'n bisschen schwer, darüber zu sprechen"). Alter hakt kritisch nach: "Designerin, Instagrammerin, Autorin. Wie kriegst du das alles unter einen Hut? Weil, das ist ja schon…a lot". Und ob das a lot ist, aber Hummels ist ein "mentaler Survivor" schlimmer Depressionen und eine moderne Frau, total happy und eine gute Mutter: "Natürlich ist dem Mats und mir wichtig, dass der Ludwig glücklich ist."
Gefrotzel gegen ZDF wie zu Böhmermann-Zeiten
Immerhin hat Alter, das liegt wohl doch am Sendeplatz, von Jan Böhmermann das Gefrotzel gegen ihren Sender übernommen: "Ich hab' gelernt", erzählt sie der Cathy mit Blick auf die Süßigkeiten auf dem Tisch, "beim ZDF, wenn du blond bist und Locken hast, reichst du…ich sag mal: Gummibärchen". Cathy Hummels überhört den Aufruf zur Frauenpower und zur vereinten Kraft würdigt lieber das Design des niedlichen Schälchens, in dem die Gummibärchen liegen.
"Late Light Alter" hatte einen unglücklichen Start zu einer unglücklichen Zeit auf einem unglücklichen Sendeplatz. Vielleicht ist man beim ZDF ganz froh, dass dort das anstrengende Fliewatüüt nicht mehr steht. Außerdem ist kommende Woche mit Sawsan Chebli ein in jeder Hinsicht anderes Kaliber zu Gast.
Bis dahin möge das Publikum, fordert Ariane Alter, "schön viel twittern und mitdiskutieren". Worüber auch immer.
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